Die Zukunft wartet nicht: Warum nachhaltige Transformation zur unternehmerischen Kernaufgabe wird
- Prof. Dr. habil. Lisa Fröhlich
- 4. Dezember 2025
- BCCG Commentary
Das vielzitierte Diktum Roman Herzogs, „Wir haben kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem“, bildet den Ausgangspunkt für die folgenden Überlegungen zum Omnibus-I-Verfahren des Europäischen Parlaments. Bereits mit Einführung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) im Jahr 2021 stellte sich die Frage, weshalb Schwellenwerte für Berichtspflichten eingeführt wurden. Aus systemischer Perspektive müssten alle Akteure entlang der Wertschöpfungskette motiviert sein, ihre Risikostrukturen zu kennen, kontinuierlich zu analysieren und gemeinsam Wege zur Stärkung der Resilienz globaler Lieferketten zu entwickeln.
Vor diesem Hintergrund erscheint die erneute Anhebung der Schwellenwerte in der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) und der Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) als politisch gefeierte „Entlastung“, die sich jedoch bei näherer Betrachtung als Fehleinschätzung erweist. Die Reduktion formaler Berichtspflichten mindert unternehmerische Verantwortung nicht. Sie birgt vielmehr das Risiko, Transparenz zu verringern und zentrale Anreize für nachhaltige Investitionen zu schwächen. Hier ist klar zwischen Reportingpflichten und Sorgfaltspflichten zu unterscheiden: Während erstere künftig nur noch große Unternehmen betreffen, bleiben menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten vollständig bestehen. Unternehmen sind daher weiterhin verpflichtet, Risiken systematisch zu identifizieren, zu bewerten und wirksame Präventions- und Abhilfemaßnahmen umzusetzen – nicht allein aus Compliance-Erwägungen, sondern als integralen Bestandteil eines professionellen Risikomanagements und zur Sicherung ihrer langfristigen Wettbewerbsfähigkeit.
Im Sinne Herzogs lässt sich festhalten: Die strategische Relevanz des Europäischen Green Deal ist in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft grundsätzlich anerkannt. Die zentrale Herausforderung liegt jedoch darin, dass Politik wie Unternehmen vielfach nicht wissen, wie die notwendige Transformation praktisch umgesetzt werden kann. Dieses Umsetzungsdefizit begünstigt politische Entscheidungen, die langfristig kontraproduktiv sind.
Wirkungsvoller organisatorischer Wandel gelingt nur, wenn Lernen als kontinuierlicher, kollaborativer und arbeitsplatznaher Prozess verstanden wird. Regelmäßige Schulungen zu regulatorischen und operativen ESG-Themen, unterstützt durch digitale Lernplattformen sowie Softwarelösungen zur Datenerfassung und -analyse, stellen sicher, dass Mitarbeitende über aktuelles, praxisorientiertes Wissen verfügen. Entscheidend ist die direkte Verzahnung von Wissenstransfer und Arbeitsalltag: Fallstudien, anwendungsnahe Inhalte und interne Wissensnetzwerke fördern Erfahrungsaustausch und stärken die Fähigkeit, Herausforderungen eigenständig zu bewältigen.
Thomas Erikson weist in seinem Buch „Alles Idioten!?“ darauf hin, dass Lernen nicht nur aus Fehlerreflexion besteht, sondern auch darin, Fehlentwicklungen von vornherein zu vermeiden. An diesem Punkt setzt unser Training „Nachhaltigkeit: From Compliance to Action“ (https://www.ispira-thinktank.com/leistungen/training/) an. Aufbauend auf Edgar Dales Lernmodell (1969) verfolgen wir einen handlungsorientierten Ansatz, der Unternehmen systematisch vom Wissen ins konkrete Tun führt. Ausgangspunkt ist eine evidenzbasierte Analyse aktueller Risiken globaler Lieferketten. Darauf aufbauend vermitteln realitätsnahe Szenarien und simulationsbasierte Formate praktische Erfahrungen – etwa beim Aufbau belastbarer, nachhaltiger Lieferanten-Beschaffer-Beziehungen. Dieses erfahrungsorientierte Lernen befähigt Teilnehmende, über Problembeschreibungen hinauszugehen und wirksam in die Umsetzung zu kommen.
Nachhaltige Transformation ist kein fakultativer Kostenblock, der in wirtschaftlich angespannten Zeiten zur Disposition steht. Vielmehr stellt sie eine zentrale Voraussetzung für Innovation, Wettbewerbsfähigkeit und langfristige organisationale Resilienz dar. In global verflochtenen Wertschöpfungssystemen bildet nachhaltiges Wirtschaften nicht einen wahlfreien Zusatz, sondern den strukturellen Kern funktionsfähiger Lieferketten. Vor diesem Hintergrund gilt es, politischen Deutungen einer angeblichen „Entlastung“ mit analytischer Klarheit zu begegnen: Erforderlich ist eine Ausweitung von Transparenz statt deren Reduktion, eine präzise Kommunikation über bestehende Risiken statt deren Relativierung und die gezielte Unterstützung jener Unternehmen, die bereits heute demonstrieren, dass Nachhaltigkeit nicht als Einschränkung, sondern als wesentlicher Treiber für Fortschritt, Stabilität und ökonomischen Erfolg zu verstehen ist.
Denn für eine gelingende nachhaltige Transformation brauchen wir Verbündete: Das Umsetzungsproblem wird sich nur lösen lassen, wenn wir zusammenarbeiten und gemeinsame Räume für Lernen, Austausch und gelebten Wissenstransfer schaffen.
Prof. Dr. habil. Lisa Fröhlich
Inhaberin, ispira – Think Tank für nachhaltige Lieferketten