Wasserstoffhochlauf in Deutschland – Ein Schlüssel zur Energiezukunft und zur Dekarbonisierung der Industrie?

In der aktuellen industrie- und energiepolitischen Diskussion um den Energiemarkt spielt Wasserstoff eine zentrale Rolle als Schlüsseltechnologie zur Dekarbonisierung der Industrie und zur Sicherstellung einer kohlenstoffarmen Energieversorgung.

Die deutsche Bundesregierung hat umfassende Strategien entwickelt, um die deutsche Wasserstoffwirtschaft zu fördern. Dies geschieht unter anderem im Rahmen der Nationalen Wasserstoffstrategie (NWS), mit deren Hilfe Deutschland als Vorreiter im Bereich der Wasserstofftechnologie positionieren werden soll.

Die anstehenden und geplanten Maßnahmen sind nicht nur entscheidend zur Dekarbonisierung industrieller Prozesse und des gesamten Energiesystems, sondern auch für die langfristige Speicherung von überschüssigem Wind- und Solarstrom, was insgesamt zur Stabilisierung des deutschen Stromnetzes beitragen soll.

Umsetzung des Wasserstoff-Kernnetzes

Der Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft benötigt einerseits (wirtschaftliche und finanzielle) Planungssicherheit und anderseits die (technische) Möglichkeit des Transports von Wasserstoff über weite Entfernungen. Für den deutschlandweiten Transport von Wasserstoff soll ein sog. Wasserstoff-Kernnetz errichtet werden. Dieses stellt die erste Stufe des Aufbaus einer Wasserstoffnetzinfrastruktur. Die zweite Stufe des Auf- und Ausbaus erfolgt dann über die Aufstellung von aus der strom- und Gaswirtschaft bekannten Aufstellung von Netzentwicklungsplänen. Dieser Aufbau des Kernnetzes wird ergänzt durch die Anpassung des Rechtsrahmens für Verteilernetze.

Der offizielle Startschuss für den Aufbau des Wasserstoff-Kernnetzes fiel am 22. Juli 2024 mit dem Antrag der Gas-Fernleitungsnetzbetreiber (FNB) bei der Bundesnetzagentur (BNetzA). Nach einer Frist zur Stellungnahme bis zum 6. August 2024 prüft die BNetzA nun den Antrag. Der Aufbau des Wasserstoff-Kernnetzes soll ab dem 1. Januar 2025 beginnen. Die Genehmigungsentscheidung der BNetzA wurde von Ende September 2024 auf Mitte Oktober 2024 verschoben. Derzeit liegt der Genehmigungsentwurf noch bei den betroffenen Unternehmen zur Anhörung. Mit einer geplanten Leitungslänge von 9.666 km, von denen rund 60 % auf bestehenden (dann umgerüsteten) Erdgasleitungen basieren, soll das Wasserstoff-Kernnetz Deutschland von Nord nach Süd und von Ost nach West abdecken. Neben den umgestellten Erdgasleitungen wird das Wasserstoff-Kernnetz auch aus neuen Wasserstoffleitungen bestehen. Das Wasserstoff-Kernnetz soll einen funktionierenden Wasserstoff(transport)markt in Deutschland ermöglichen. Die Einspeise- und Ausspeisekapazitäten sollen rund 100 GW bzw. 87 GW betragen. Die Leitungen sollen sukzessive zwischen den Jahren 2025 und 2032 in Betrieb genommen werden.

Dieser ambitionierte Plan der Bundesregierung ist in die europäische Fernleitungsnetzinitiative „European Hydrogen Backbone“ eingebunden, die bis 2040 eine europäische Wasserstoffinfrastruktur mit einer Gesamtlänge von 53.000 km anstrebt.

Die Kosten für den Aufbau des Wasserstoff-Kernnetzes in Deutschland werden auf etwa 19,7 Milliarden Euro geschätzt, wobei die Finanzierung hauptsächlich über die Netzentgelte bis 2055 erfolgen soll. Dabei wird die Finanzierung langfristig gesichert. Zwar wird der Aufbau im Grundsatz privatwirtschaftlich durch die Netzentgelte refinanziert. Das Modell stellt aber sicher, dass diese nicht anfänglich aufgrund geringer Nutzerzahlen überhöht sind, sondern es erfolgt eine verstetigte Verteilung bis 2055 mit einer Finanzierungsabsicherung für verbleibende Lücken durch den Bund.

Importstrategie für Wasserstoff

Ein weiterer und sehr entscheidender Aspekt der deutschen Wasserstoffstrategie ist die sog. Importstrategie, die am 24. Juli 2024 vom Bundeskabinett beschlossen wurde.

Diese ergänzt die NWS und soll (insbesondere dem Erzeugungsmarkt von Wasserstoff) signalisieren, dass Deutschland bereit ist, signifikant in den Import von Wasserstoff zu investieren. Bis 2030 wird ein nationaler Wasserstoffbedarf von 95 bis 130 TWh erwartet, wobei 50-70 % davon importiert werden müssen, da erwartet wird, dass die inländischen Wasserstofferzeugungskapazitäten nicht ausreichen werden. Bis ins Jahr 2045 könnte der Bedarf sogar auf 360-500 TWh steigen.

Die Importstrategie verfolgt dabei mehrere Kernziele: Sie soll eine resiliente und nachhaltige Wasserstoffversorgung sicherstellen, die Dekarbonisierung der deutschen Energieversorgung und den Import von verschiedenen Wasserstoffprodukten unterstützen. Dazu sollen parallele Infrastrukturen für Pipeline- und Schiffstransporte aufgebaut werden.

Kraftwerksstrategie und Kraftwerkssicherheitsgesetz (KWSG)

Auch die neue Kraftwerksstrategie der Bundesregierung und die erste Umsetzung derselben im KWSG stehen in unmittelbaren Zusammenhang mit dem Aufbau des Wasserstoff-Kernnetzes und der inländischen Erzeugung und dem Import von Wasserstoff und Wasserstoffderivaten.

Die Kraftwerksstrategie wurde im Rahmen des Wirtschaftswachstumspakets initiiert und zielt darauf ab, neue und modernisierte Kraftwerkskapazitäten zu schaffen, die sowohl die Versorgungssicherheit als auch die Dekarbonisierung des Energiesektors gewährleisten.

Am 11. September 2024 eröffnete das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) die Konsultation für das KWSG. Diese Konsultation ist ein entscheidender Schritt, um die Umsetzung der Kraftwerksstrategie voranzutreiben.

Die Konsultation ist darauf ausgerichtet, die Perspektiven von verschiedenen Akteuren der Energiebranche und insbesondere auch der Industrie einzuholen. Ziel sei es, konkrete Maßnahmen zur Förderung wasserstofffähiger Kraftwerke zu erarbeiten und die Rahmenbedingungen für zukünftige Ausschreibungen festzulegen. Die Konsultation läuft bis zum 23. Oktober 2024 und bietet eine Plattform für den Austausch zwischen Industrievertretern, Energieversorgern, Wissenschaftlern und anderen Interessierten.

Bis 2035 sollen neue wasserstofffähige Gaskraftwerke gebaut werden, die zunächst mit Erdgas betrieben und später auf grünen Wasserstoff umgestellt werden. Dies soll die Versorgungssicherheit auch in Zeiten geringer erneuerbarer Energieproduktion garantieren. Die Bundesregierung plant, kurzfristig bis zu 10 Gigawatt „H2-ready“-Kraftwerke auszuschreiben.

Um die notwendige Kapazität zu schaffen, sind umfangreiche Investitionen erforderlich, die durch den Klima- und Transformationsfonds gefördert werden.

Das KWSG umfasst zwei zentrale Konsultationsdokumente:

  • Erstes Konsultationsdokument: Es sieht Ausschreibungen für wasserstofffähige Gaskraftwerke und Langzeitspeicher mit einer Gesamtkapazität von 7 Gigawatt vor. 5 Gigawatt sind für den Neubau wasserstofffähiger Gaskraftwerke vorgesehen, die zukünftig vollständig mit Wasserstoff betrieben werden können. Zusätzlich sind 500 Megawatt für Wasserstoffsprinterkraftwerke eingeplant.
  • Zweites Konsultationsdokument: Hier werden Ausschreibungen für steuerbare Kraftwerkskapazitäten in Höhe von 5 Gigawatt beschrieben, die zur Netzstabilisierung beitragen sollen. Die Anlagen müssen flexibel genug sein, um die technischen Anforderungen des Stromnetzes zu erfüllen.

Die Umsetzung der Kraftwerksstrategie gestaltet sich jedoch als herausfordernd. Ein komplexer Abstimmungsprozess innerhalb der Bundesregierung, auf EU-Ebene und mit verschiedenen Akteuren des Energiemarkts und der Industrie habe zu Verzögerungen geführt. Unterschiedliche Meinungen unter den Marktteilnehmern sowie kritische Stimmen des Bundesrechnungshofs erschwerten eine zügige Umsetzung. Dennoch wird die öffentliche Konsultation als Chance gesehen, um die verschiedenen Perspektiven zu integrieren und die Rahmenbedingungen zu optimieren.

Ausblick

Der Wasserstoffhochlauf ist ein zentrales Element der deutschen Energiewende.

Die Bundesregierung strebt mit der Kraftwerksstrategie an, bis 2030 80 % des gesamten Bruttostromverbrauchs durch erneuerbare Energien zu decken, wobei Wasserstoffkraftwerke (insbesondere in sog. Dunkelflauten) eine zentrale Schlüsselrolle spielen sollen. Weitere marktbasierte Flexibilisierungsanreize (insbesondere Flexibilisierung des Stromverbrauchs) stehen noch aus.

Für die Industrie ist die örtliche Versorgung mit Wasserstoff zu bezahlbaren Preisen und ein kohlenstoffarmer Strombezug (aus EE-Anlagen und/oder Wasserstoffkraftwerken) in Zukunft jedoch essenziell, um die ambitionierten Dekarbonisierungsziele zu erreichen.

 

Eric H. Glattfeld

Partner / Rechtsanwalt, Energie- und Regulierungsrecht, München, Addleshaw Goddard (Germany) LLP

Dr. Boris Scholtka

Partner / Rechtsanwalt, Energie- und Regulierungsrecht, Berlin, Addleshaw Goddard (Germany) LLP

SHARE THIS