Besonderheiten im deutsch-britischen Rechtsverkehr nach dem Brexit

Gerichtsstand, Schiedsklausel und Rechtswahl: Seit 1. Januar 2021 hat sich die Rechtslage bei gerichtlichen Streitigkeiten im deutsch-britischen Rechtsverkehr erheblich geändert. Wir geben Ihnen einen Überblick und wertvolle Praxistipps.

 

Die Anerkennung und Vollstreckung von Gerichtsurteilen

Wenngleich das Vereinigte Königreich (UK) bereits zum 1. Februar 2020 aus der EU ausgeschieden ist, so galt doch bis Ende 2020 eine Übergangszeit, innerhalb derer ein Großteil des EU-Rechts im UK weiter anwendbar blieb. Dies gilt namentlich auch für die Brüssel Ia-Verordnung (EU) aus dem Jahre 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO), die nicht nur Fragen der gerichtlichen Zuständigkeit regelt, sondern auch die Modalitäten einer Vollstreckung von Urteilen in anderen EU-Mitgliedstaaten. Dass unter der EuGVVO in einem EU-Mitgliedstaat ergangene Urteile ohne ein aufwändigeres formelles Vollstreckbarkeitsverfahren („Exequatur“) auch in anderen Mitgliedstaaten vollstreckbar sind, ist von großem Vorteil. Hiervon konnte in der Vergangenheit auch der renommierte Gerichtsstandort London profitieren.
 

Die neue Rechtslage ist unklarer

Seit Jahresbeginn 2021 müssen sich Unternehmer auf Änderungen einstellen, die EuGVVO findet im UK für Neufälle keine Anwendung mehr. Das Wiederaufleben einer Vorgängerregelung, der Brüsseler Konvention (EuGVÜ), als rein völkerrechtliche Vereinbarung wird meist verneint unter Berufung auf den Willen der Staaten – sie reicht auch weniger weit als die EuGVVO und würde wieder eine Vollstreckbarkeitserklärung erfordern. Letzteres wäre auch dann der Fall, wenn das UK dem sogenannten revidierten Luganer Übereinkommen (2007) als eigenständiger Vertragsstaat beitreten würde. Dieses Abkommen findet Anwendung für die Länder der EU einschließlich Dänemarks, für Island, Norwegen und die Schweiz. Das UK hat hier einen Beitrittsantrag am 8. April 2020 gestellt, der aber nicht die Billigung der EU fand.
Zur Anwendung gelangen kann das Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen (2005), dem das UK beigetreten ist und das auch in allen EU-Staaten gilt. Anders als die Regelungen der EuGVVO ist dieses aber nur für ausschließliche Gerichtsstandsabreden einschlägig. Auch werden viel mehr Teilrechtsgebiete vom Anwendungsbereich ausgenommen als bei der EuGVVO.
Ob ein deutsch-britisches Abkommen von 1960 über die „gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen“ zur Anwendung kommen kann, ist in Fachkreisen umstritten. Es würde sich dann aber nur auf Entscheidungen der oberen Gerichte beziehen. Im Übrigen ist auf das internationale Zivilverfahrensrecht der jeweiligen Staaten abzustellen, in Deutschland auf Vorschriften der Zivilprozessordnung, soweit Bestimmungen der EuGVVO nicht mehr greifen, in England auf das traditionelle Common Law.

Gerichtsverfügungen können Anrufung eines bestimmten Gerichts nun untersagen

Die Anwendbarkeit des Common Law bringt es mit sich, dass britische Gerichte wiederum sogenannte „anti suit injunctions“ erlassen können, was unter der Geltung der EuGVVO ausgeschlossen war. Mit solchen Gerichtsverfügungen wird es ermöglicht, Parteien die Anrufung eines bestimmten Gerichts oder Schiedsgerichts zu untersagen, wenn dessen Anrufung als rechtsmissbräuchlich angesehen werden würde. Wenn auch Schiedsabreden angesichts der Fortgeltung der einschlägigen New Yorker Konvention durch den Brexit weniger beeinträchtigt worden sind als Regelungswerke für die Gerichtszuständigkeit, bleiben Schiedsabreden unter diesem Gesichtspunkt dennoch nicht völlig von der neuen Lage verschont.
 

Was bedeutet der Brexit für Rechtswahlklauseln?

Bei einer vertraglich vereinbarten Rechtswahl wird zu beachten sein, dass zwar diverse einschlägige Vorschriften des EU-Rechts (insb. auch aus den EU-Verordnungen ROM I und II zum anwendbaren Recht) im UK mit Modifikationen ins nationale britische Recht überführt worden sind. Allerdings wird, jedenfalls für Neufälle, selbst bei gleichlautendem Wortlaut nicht mehr der EuGH zur Letztauslegung berufen sein, sodass sich mittel- und langfristig Auseinanderentwicklungen ergeben können.
 

Fazit und Ausblick

Parteien müssen sich heute noch eingehender Gedanken darüber machen, ob und ggf. welche konkreten Gerichtsstands- und Rechtswahlklauseln sie in einen Vertrag aufnehmen. Alternativ zu Gerichtsstandsklauseln bieten sich Schiedsklauseln an, dann allerdings weitgehend außerhalb der staatlichen Gerichtsbarkeit. Zudem wurden auf dem europäischen Kontinent neue Commercial Courts für internationale Streitigkeiten bei staatlichen Gerichten eingerichtet, insbesondere seit dem 1. November 2020 auch derjenige bei den Landgerichten Stuttgart und Mannheim.
 
 

Rechtsanwalt Dr. Thomas M. Grupp, Partner Haver & Mailänder Rechtsanwälte, Partnerschaft mbB, Stuttgart

 

Dieser Beitrag ist zuerst erschienen im Magazin Außenwirtschaft aktuell der IHK Region Stuttgart, www.stuttgart.ihk.de/aussenwirtschaft-aktuell.

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