Was kann Europa tun, um auch in Zukunft ausländische Direktinvestitionen zu gewinnen und die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken?
- Dr. Ferdinand Pavel
- 3. Juli 2023
- BCCG Commentary
In Zeiten unsicherer geopolitischer Ereignisse ist ein stabiler europäischer Wirtschaftsraum zentral, um Wachstum und Wohlstand für kommende Generationen zu realisieren. Mit seinem gemeinsamen Binnenmarkt hat Europa einen wichtigen Standortvorteil. Dieser aber muss für die kommenden Herausforderungen fit gemacht werden. Selbst Führungskräfte, die die Aussichten Europas positiv sehen, mahnen weitere Anstrengungen an, um den Wirtschaftsstandort auf zukünftige Anforderungen vorzubereiten. In der aktuellen EY Attractiveness Survey haben wir Entscheidungsträger befragt und dabei sechs Themenfelder identifiziert, welche besonders für ausländische Investoren wichtig sind.
Eine Vision mit klaren Botschaften für den Wirtschaftsstandort Europa
Europa braucht eine zuversichtliche Vision, die sich in klaren Botschaften für Investoren äußert. Europas Stärken liegen in wirtschaftlicher Widerstandsfähigkeit sowie langfristiger politischer Stabilität. Eine gemeinsame politische Vision, die Wachstumspotential mit Digitalisierung und Umweltzielen (Stichwort: Klimaneutralität), verbindet, bietet Orientierung für ausländische Investoren und fördert das Investitionsklima.
Verbesserte Unterstützung für Unternehmen im Europäischen KMU Sektor
Europäische Wirtschaftspolitik muss KMUs als Priorität definieren. Diese Gruppe der Marktteilnehmer bietet ein attraktives Skalierungspotential für wirtschaftliche Entwicklungen. Derzeit sind ca. 100 Millionen Menschen in Europa in diesem Sektor beschäftigt und nehmen eine entscheidende Rolle bei Innovationen ein. Zeitgleich werden nicht alle vorhandenen Möglichkeiten ausgeschöpft. Nur 57% der KMU planen in Europa in 2023 zu expandieren, während 79% der größeren Unternehmen eine Expansion vorsehen. Eine umfassende Analyse, die alle Elemente des Wirtschaftskreislaufes berücksichtigt, ist erforderlich, um zu verstehen, welche Maßnahmen notwendig sind, damit KMUs den Sprung zur Expansion wagen. Zugang zu bezahlbarer Energie und einem gemeinsamen europäischen Kapitalmarkt sind Beispiele für solche Maßnahmen.
Zeitgleiche und nachhaltige Stärkung der europäischen Fähigkeiten zur Entwicklung von Technologien sowie der Produktion in allen Wirtschaftssektoren
Unsere Analyse identifiziert, dass F&E in den nächsten drei Jahren die wichtigste Investitionskategorie für potenzielle Investitionen in Europa ist. 64% der befragten Führungskräfte gehen davon aus, dass sie Ihre Investitionen im europäischen F&E Bereich intensivieren werden. Weitaus weniger Führungskräfte planen allerdings, ihre Produktionskapazitäten in derselben Größenordnung zu steigern. Europäische Entscheidungsträger müssen einen klaren regulatorischen Rahmen entwickeln, in welchem Investitionen in Hochtechnologie gefördert werden. Dazu gehört auch die Zielsetzung, dass Europa sich an der Spitze der KI-Revolution platzieren kann. Die Entwicklung von Hochtechnologie sollte jedoch nicht der einzige Schwerpunkt sein. Investitionen entlang der Wertschöpfungskette, besonders in die Fertigungskapazitäten – vor allem in strategischen Branchen – sollten doppelt genutzt werden. Zum einen, um wirtschaftliches Wachstum zu stärken und zum anderen, um Abhängigkeiten zu verringern bzw. Resilienz zu stärken.
Europas Führungsrolle beim Klimawandel erfolgreich nutzen und ESG-Aktivitäten ausbauen
Europas Politik mit dem Ziel zur Eindämmung des Klimawandels, inklusive CO2-neutrale Produktion, gehören zu den wichtigsten Erwägungen von Unternehmen bei der Auswahl von Investitionsstandorten. Die EY Studie legt nahe, dass Investoren die Vorteile der europäischen Union im Bereich von Dekarbonisierung und ESG erkennen. Die industriepolitischen Instrumente müssen allerdings erheblich vereinfacht werden um im Wettbewerb mit den USA und insbesondere den Fördermaßnahmen im Rahmen des Inflation Reduction Acts (IRA) bestehen zu können. Erneuerbaren Energien kommt eine wichtige Rolle bei der Energieversorgung der europäischen Wirtschaft zu, weil sie kostengünstig und klimaneutral sind und gleichzeitig internationale Abhängigkeiten reduzieren. Weitere Fortschritte sind hier von entscheidender Bedeutung, besonders wenn zunehmende geopolitische Spannungen die Energieversorgung von außerhalb Europas weiterhin bedrohen.
Ausbildung der nächsten Generation für kommende Herausforderungen
Das derzeit hohe Beschäftigungsniveau in den europäischen Ländern ist für die Wohlstandsentwicklung ein gutes Zeichen, bedingt aber auch einen intensiven Wettbewerb um Talente. Der Solar Jobs Report von 2022 schätzt, dass sich die Zahl der Beschäftigten in der Solarbranche bis 2030 auf mehr als eine Million verdoppeln wird. In diesem Umfeld ist es wichtig, die Flexibilität des Arbeitsmarktes mit Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten zu fördern und Fähigkeiten, die bei neuen Berufsmodellen benötigt werden, gezielt auszubilden.
Vertrauen in EU-Institutionen stärken, auf Basis eines modernisierten Steuer- und Regulierungssystems
Ein wichtiger Treiber für Investoren ist die Förderung von Forschung und Entwicklung mithilfe von Steuergutschriften. Dies ist ein guter Ansatz, um grüne Transformation mit den Wirtschaftszielen Europas zu verbinden. Zuverlässigkeit, Vorhersagbarkeit und Transparenz sind hier entscheidende Stichworte. Steuererhöhungen für Unternehmen mögen für die politische Agenda kurzfristig attraktiv sein, um Einnahmen zu erhöhen. Die Aufrechterhaltung eines stabilen steuerlichen Umfelds ist jedoch ein wichtiger Ankerpunkt für Vertrauen in den Wirtschaftsstandort Europa. Selbst in Bereichen, in denen die steuerliche Regulierung noch in den Kinderschuhen steckt, wie beispielsweise in der digitalen Wirtschaft, können politische Entscheidungsträger Vertrauen fördern, indem sie klare Signale senden und Maßnahmen zur Stärkung des europäischen Binnenmarktes ergreifen. Schritte in Richtung einer Kapitalmarktunion, die Stärkung des innereuropäischen Austausches von Dienstleistungen oder die Förderung von Infrastruktur stärken Europa einerseits und machen es als Investitionsstandort langfristig attraktiv.
Dr. Ferdinand Pavel,
Executive Director, Ernst & Young GmbH