Resilienz und die Sache mit dem Papierstau

Eine gesellschaftliche Verantwortung

Jeden treibt etwas an. Bei mir ist es unter anderem der großartige Austausch zu den wichtigen Themen der Führungskultur von Organisationen, wie ich ihn auf unserer letzten virtuellen Insight Collaboration Panel Diskussion zum Thema Resilienz, erleben durfte. Gemeinsam mit Eman Martin-Vignerte, External Affairs, Governmental and Political Relations, Robert Bosch GmbH und Daniel Wend, Leiter der Abteilung für psychosoziale Beratung, Lufthansa GmbH, haben wir das große Thema Resilienz im Kontext zu Collaboration aus verschiedenen Blickwinkeln diskutiert, analysiert und praxisnah betrachtet.

Der amerikanische Mathematiker John Allen Paulos hatte recht mit der Aussage, „nichts ist so gewiss, wie die Ungewissheit.“ Aber was hilft diese Erkenntnis, wenn es darum geht, mit Ungewissheit umzugehen?

Schon in 2008 hat David Rock, der den Terminus Neuroleadership maßgeblich geprägt hat, mit seiner Arbeit am SCARF Modell belegt, dass unser Gehirn einfach nicht für Ungewissheit optimiert ist. Wofür steht also SCARF? Status, Certainty, Autonomy, Relatedness, Fairness. Diese fünf verschiedenen sozialen Trigger lösen in uns dasselbe Gefahr- respektive Belohnungsverhalten aus, als würden wir ums Überleben kämpfen. Und noch mal, das „C“ steht für Certainty, die Gewissheit.

Evolutionär bedingt, ist unser Gehirn ständig damit beschäftigt, Muster zu analysieren, um mögliche Gefahren verlässlich vorauszusehen. Diese sichere Vorhersage ist nicht nur existentiell, sondern auch im Arbeitsalltag unabdingbar. Sie ermöglicht es uns, nicht nur effizient zu arbeiten, sondern erlaubt es uns dadurch gezielt kreativ und produktiv zu sein.

Leider reicht schon ein geringes Maß an Ungewissheit aus, um in unserem angeborenen Supercomputer eine Störung, ja, man könnte es auch eine „Fehlermeldung“ nennen, zu verursachen. David Rock beschreibt dies analog zu einem Papierstau im Drucker: Die Anzeige blinkt ununterbrochen, um den Papierstau anzuzeigen. Das Problem lässt sich einfach nicht ignorieren. Erst, wenn es behoben ist, geht es weiter. (Rock, 2008)

Was bedeutet das also im Kontext von Unternehmen und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern? Wie können wir den Papierstau entfernen (um dieses Bild noch einmal zu bemühen) und das blinkende Warnlicht abschalten? „Fehlermeldungen“ will keiner und, wenig überraschend, sie lösen facettenreiche Unsicherheit aus.

Die Antwort auf diese Frage, und darin waren sich die Panelisten einig, ist überraschend einfach.
Es geht darum, auf individueller, Team-, Führungskräfte- und Unternehmensebene Raum für offene Gespräche zu schaffen. Plattformen, in denen eine authentische, zielorientierte und vertrauensvolle Kommunikation stattfinden kann. Es ist wichtig, den Menschen zu zeigen, dass sie wertgeschätzt und gesehen werden, dass sie Teil einer Gemeinschaft sind. Das schafft Sicherheit und Kontrolle in all dem, was wir nicht selbst beeinflussen können.

Respect, Dignity and Trust“ sind das einzige, was Menschen hilft, resilienter zu werden. So hat Julia Warrington, Wellness Advisor – Global Expertise & Humanitarian Surge Platform (GEHSP), von Safe the Children, es auf den Punkt gebracht, in unserem Vorgespräch zum Panel. (Sie wurde nach dem verheerenden Erdbeben in der Türkei gebraucht und konnte deswegen leider nicht als Panelgast dabei sein.)
Dass dies ausgesprochen schwierig sein kann, insbesondere in Situationen, in denen eine Krise die nächste jagt, ist verständlich. Trotzdem liegt es vor allem an den Führungskräften einer jeden Organisation, dieser Verantwortung bedingungslos nachzukommen, und darüber hinaus bewusst als Vorbild zu handeln. Eman Martin-Vignerte nannte dieses (im wahrsten Sinne des Wortes) vorbildliche Verhalten, „human-centric“, Menschen zentriertes Arbeiten.

In einer Welt, die einem solch starken demographischen Wandel unterliegt, wie der unseren, ist Menschen zentriertes Arbeiten natürlich nicht nur im Organisationskontext von Bedeutung. Neben dem akuten Fachkräftemangel erwarten wir gleichzeitig eine signifikante Veränderung des Arbeitsmarktes, aufgrund des Einsatzes von Digitalisierung und KI. Was kommt? Was bleibt?

Viele Berufsfelder, mit denen wir heute vertraut sind, wird es in naher Zukunft nicht mehr geben. Dafür entstehen neue Arbeitsfelder. Einige kündigen sich deutlich an, andere können wir hier und heute nur erahnen. Arbeitsplätze werden wegfallen, durch andere ersetzt oder modifiziert werden, für die wiederum ganz andere Fähigkeiten unabdingbar sind. Transformation steht im Raum. „Upskilling“ und „Reskilling“ werden zur Essenz dieser neuen Arbeitsrealität. Was aber bleibt, ist die absolute Notwendigkeit einander zu vertrauen. Dieses Vertrauen beinhaltet einen internen Transformationsprozess zu Offenheit und Respekt im unternehmerischen Miteinander.

Das Nutzen vorhandener Potenziale über Industriezweige und Ländergrenzen hinweg wird in diesem kontinuierlichen Veränderungsprozess immer wichtiger.

Dies zeichnet sich auch schon in den aktuellen Arbeitsmarkt Trends ab. Menschen stellen ihren Job immer häufiger grundlegend infrage, Home-Office und hybrides Arbeiten sind längst Normalität, Mitarbeiterdiversität rückt ins Zentrum und unsere Lebensarbeitszeit weicht deutlich von den Generationen vor uns ab. Das alles klingt nach Herausforderung? Nach Anstrengung? Das ist es auch! Und schon wieder ist das Thema Resilienz gefragt.

Diese Entwicklungen sind ein klares Zeichen für einen Wandel, der eine neue Art der Zusammenarbeit fordert und an dessen Umsetzung wir konsequent feilen müssen. Eine Zusammenarbeit über Unternehmens- und Marktgrenzen hinaus. Echte Collaboration, die nicht nur Innovation und Produktivität vorantreibt, sondern auch Vorhersehbarkeit und Sicherheit einschließt, in diesen spannenden Zeiten besonders großer Veränderungen. Vorhersehbarkeit und Sicherheit, die wir brauchen, um leistungsfähig, verlässlich und zukunftsfähig zu bleiben.

Wir sollten die Potenziale der Menschen, die sich inhaltlich umorientieren müssen, nutzen. Mit dem notwendigen und verdienten Respekt, für das, was sie bereits geleistet haben. Gleichzeitig ist es unsere Aufgabe, uns die Zeit zu nehmen, ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten zu verstehen und auf neue Arbeitskontexte zu übertragen.

Wir müssen neue Perspektiven schaffen und alle Mitglieder unserer Gesellschaft in diesen Prozess des Wandels würdevoll einbinden. Das treibt Resilienz voran. Das löst den Papierstau und bringt die grell blinkende Warnleuchte zum Erlöschen.

Wir alle tragen eine gesellschaftliche Verantwortung dafür, grenzübergreifend mit Hilfe von Collaboration Resilienz zu stärken. Nutzen wir das große, vorhandene Potenzial, das in dieser Veränderung steckt.

 

Britta Posner

Founder & Director, The Collaboration Practice

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